Entwicklung nationaler Politikansätze für 'Flexicurity'
ALS ANTWORT AUF HERAUSFORDERUNGEN DES ARBEITSMARKTES
Am 24. September 2008 veranstaltete die Europäische Kommission (GD Beschäftigung, Soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit - GD EMPL) ein Thematisches Seminar zur Entwicklung nationaler "Flexicurity"-Politikkonzepte als Antwort auf Herausforderungen des Arbeitsmarktes. Es sollten unterschiedliche einzelstaatliche Politikkonzepte auf dem Gebiet der "Flexicurity" erörtert werden, um mehr Länder und Interessengruppen in die Arbeit der "Flexicurity Mission" einzubinden. Diese Mission wurde 2008 von der Kommission in enger Zusammenarbeit mit sozialpartnerschaftlichen Organisationen ins Leben gerufen; es handelt sich um eine öffentliche Initiative, die den Mitgliedstaaten Unterstützung bei der Übernahme der Gemeinsamen Grundsätze für den "Flexicurity"-Ansatz bieten will. Das Interesse an diesem Seminar war groß. Dem TeilnehmerInnenkreis gehörten offizielle und NRO-VertreterInnen aus 30 Staaten an, darunter Delegierte aus mehreren EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegen, Mazedonien, Serbien und der Schweiz. Daneben waren Mitglieder europäischer sozialpartnerschaftlicher Organisationen, NRO sowie der Europäischen Kommission anwesend.
Eröffnet wurde das Seminar von Xavier Prats Monné, Leiter der Direktion Beschäftigung, Lissabon-Strategie und internationale Angelegenheiten (GD EMPL). Er unterstrich die Bedeutung von gegenseitigem Lernen und erklärte den Kontext der "Flexicurity Mission". Anschließend an die Seminareröffnung hob Kommissar Vladimir Spidla in seiner Rede die Bedeutung von "Flexicurity" als Antwort auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes hervor. Er betonte indessen, dass es kein einfaches, vorgefertigtes Modell für "Flexicurity" geben kann. Es gilt, das Verständnis für die Vielfalt der Herangehensweisen in ihrem landesspezifischen Umfeld zu vertiefen. Auch die Mitwirkung sozialpartnerschaftlicher Organisationen spielt eine wesentliche Rolle. Der Abschlussbericht der - äußerst erfolgreichen - Mission wird im Dezember 2008 dem Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und VerbraucherInnenschutz (EPSCO) vorgelegt.
Anschließend ging Prof. Ton Wilthagen, Leiter des "Flexicurity Research Programme" an der Universität Tilburg, auf die Kernaspekte des Politikgestaltungsprozesses im Zusammenhang mit "Flexicurity" ein und beschrieb aktuelle Entwicklungsstränge in der EU. "Flexicurity" ist bekanntermaßen eine Politikstrategie, mit der einerseits die Flexibilität von Arbeitsmärkten, -organisationen und -verhältnissen und andererseits Sicherheitsaspekte - Beschäftigungs- und Einkommenssicherheit - synchron und in einer abgestimmten Vorgehensweise verstärkt werden sollen. Der Vortragende erörterte die mehrschichtige Beschaffenheit von "Flexicurity"-Politik und bot einen kurzen Überblick über Ansätze zu deren rechtlichen Verankerung. Darüber hinaus beschrieb er Verfahrensweisen für die Einsetzung einer "Flexicurity"-Agenda und die inhaltliche Ausgestaltung von "Flexicurity"-Optionen. Er führte abschließend aus, dass auf der Grundlage gemeinsamer Grundsätze über unterschiedliche Entwicklungspfade, durch Leistungsvergleiche sowie durch gegenseitiges Lernen und Erkenntnisse aus Politikmaßnahmen gemeinsame Fortschritte angepeilt werden müssen. Das Ziel ist die Gewährleistung eines zukunftssicheren europäischen Modells, das den globalen Herausforderungen Stand hält und gleichzeitig den Erwartungen der europäischen BürgerInnen und ihrem Anspruch auf Sozialschutz und eine solidarische Gesellschaft gerecht wird.
Herangehensweisen an gemeinsame Herausforderungen des Arbeitsmarktes in unterschiedlichen einzelstaatlichen Kontexten
Nach der Eröffnungssitzung wurde anhand von neun Länderbeispielen dargelegt, wie sich "Flexicurity"-Grundsätze in verschiedenen nationalen Kontexten umsetzen lassen. Die neun Mitgliedstaaten beleuchteten in ihren kurzen Darstellungen die Herausforderungen, denen sie sich zu stellen haben, ihre Politikschwerpunkte, ihre Vorgaben und Ziele sowie Aspekte im Hinblick auf gegenseitiges Lernen.
Spanien und Slowenien konzentrierten sich auf die Möglichkeiten, die Lücke zwischen ArbeitnehmerInnen mit guten und jenen mit geringerem Sozialschutz zu überwinden und die Arbeitsmarkteingliederung sicherzustellen. Die Anhebung der Erwerbsquote - in erster Linie unter Jugendlichen und Frauen - steht folglich im Brennpunkt der spanischen Politikmaßnahmen; weitere Schwerpunkte sind die Modernisierung der öffentlichen Arbeitsmarktverwaltung und die Stärkung des Sozialversicherungswesens durch Untermauerung der Beitragsleistungen und des Solidaritätsprinzips. Die Umsetzung muss im Rahmen eines starken Sozialdialogs erfolgen. Slowenien präsentierte seine Wirtschafts- und Sozialreform aus dem Jahr 2006, die auf die Modernisierung des Wohlfahrtsstaates und die Gewährleistung höherer Erwerbstätigenquoten abzielt. Zu den Reformmaßnahmen zählen die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die Schaffung eines gerechteren und stärker motivierenden Sozialtransfersystems, Änderungen bzw. Ergänzungen des Rentensystems sowie Maßnahmen zur Qualitäts- und Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen.
Frankreich und Italien legten ein besonderes Augenmerk auf die Verstärkung der "Flexicurity" auf Unternehmensebene sowie auf die Gewährleistung von Sicherheit bei Übergängen, mit dem Ziel, eine Verbesserung der Arbeitsorganisation herbeizuführen. Das französische Konzept basiert auf der Einrichtung eines dynamischen Sozialdialogs sowie darauf, die Aufnahme im Unternehmen zu erleichtern und bessere Rahmenbedingungen für die Karriereentwicklung zu schaffen. Eine wichtige Komponente stellt dabei die Beibehaltung und Übertragbarkeit erworbener Ansprüchen dar. Frankreich ist ferner bestrebt, die Fragmentierung des Arbeitsmarktes einzudämmen, um eine nachhaltige Arbeitsmarkteingliederung - insbesondere für ältere Arbeitskräfte - zu fördern. Auch für Italien besitzt die Einbindung von sozialpartnerschaftlichen Organisationen und lokalen Akteurinnen und Akteuren bei der Entwicklung und Umsetzung eines nationalen "Flexicurity"-Konzepts einen hohen Stellenwert. Weitere zentrale Punkte sind die Verbesserung und Stärkung von Ausbildung und lebensbegleitendem Lernen, die Modernisierung der Arbeitslosenunterstützung und der öffentlichen Arbeitsmarktverwaltung sowie eine Neugestaltung des Schulsystems, um eine bessere Abstimmung auf die Arbeitsmarkterfordernisse zu erreichen. Ein besonderes Augenmerk der Politikmaßnahmen liegt auf Gleichstellungsaspekten, mit dem Ziel, die weibliche Erwerbsrate anzuheben.
Zum Auftakt der Nachmittagssitzung präsentierten Finnland, Lettland und Großbritannien ihre Konzepte, um Qualifikations- und Chancenungleichheiten unter den Arbeitskräften beizukommen und lebensbegleitendes Lernen zu fördern. Der finnische Politikschwerpunkt liegt auf einer umfassenden Reformierung der Erwachsenenbildung und beruflichen Weiterbildung, dem Aufbau eines durchgängigen und koordinierten Systems für die Vorwegnahme von Kompetenzbedarf und Arbeitsmarkterfordernissen auf allen Ebenen sowie in der Arbeitsförderung im Rahmen von ESF-Programmen (z. B. neue Modelle für Aus-/Weiterbildung und Berufsberatung). Angestrebt wird auf diesem Weg, die Teilnahme an Aus- und Weiterbildung in sämtlichen Altersgruppen zu verstärken, wofür das entsprechende Angebot verstärkt nachfrageorientiert gestaltet werden soll und eine Verknüpfung zwischen Kompetenzaufbau und Entwicklungen in der Unternehmenswelt hergestellt werden soll. Die wichtigste Herausforderung für Lettland betrifft die Verbesserung der Teilnahme an lebensbegleitendem Lernen. Weitere vorrangige Politikaspekte sind der Ausbau der Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die Mitwirkung der ArbeitgeberInnen an aktivierungspolitischen Maßnahmen und die Stärkung der Karrierebegleitung und Berufsberatung. Großbritannien erprobt gegenwärtig ein integriertes Dienstleistungsangebot für Beschäftigung und Qualifikation ("Integrated Employment and Skills Service"). Die Kernelemente dieser Politikmaßnahme: 95 % aller Erwachsenen sollen bis 2020 über funktionale Schreib- und Rechenfertigkeiten verfügen; Arbeitslose und Qualifikationsschwache sollen eine verstärkte Beschäftigungsförderung erhalten; Verstärkung der Rolle und Mitwirkung der ArbeitgeberInnen beim Kompetenzaufbau unter den Beschäftigten. Zur Verwirklichung dieser Ziele wurde eine so genannte "Employment & Skills Commission" ins Leben gerufen, in der ArbeitgeberInnen eine maßgebliche Mitgestaltungsmöglichkeit haben. Im Mittelpunkt stehen arbeitsplatzgerechte Qualifikationen, die Bereitstellung eines Dienstes, der sich an den Bedürfnissen von KundInnen und ArbeitgeberInnen orientiert, sowie der Kompetenzaufbau im Hinblick auf eine zukunftssichere Beschäftigung. Mit dem Jobcentre Plus und der neu geschaffenen Laufbahnberatung für Erwachsene ("Adult Careers Service") wird eine professionelle und lückenlose Dienstleistung angeboten.
Polen und Schweden wiederum konzentrierten sich auf Möglichkeiten zur Chancenverbesserung für LeistungsempfängerInnen. Im Zentrum der Politikmaßnahmen Polens stehen dabei die Wirkungssteigerung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, Maßnahmen zur Arbeitsmarkteingliederung Älterer, eine Rentenreform, die Modernisierung des Weiterbildungswesens und Maßnahmen, um sozialpartnerschaftliche Organisationen und NRO für die Mitwirkung an der Umsetzung von "Flexicurity"-Modellen zu gewinnen. Die Abhängigkeit von Sozialleistungen weist in Schweden seit jeher ein konstantes Niveau auf, die Herausforderung liegt indes darin, die Betroffenen wieder an Erwerbsarbeit heranzuführen. Zur Anhebung des Arbeitskräfteangebots setzte die Regierung Maßnahmen zur Herabsetzung des recht großzügigen Arbeitslosengelds, um Erwerbsarbeit attraktiver zu machen. Gleichzeitig wurden die Sozialversicherungsbeiträge für Jugendliche, ältere Arbeitskräfte, Zuwanderinnen und Zuwanderer sowie SozialleistungsempfängerInnen ab einer Bezugsdauer von einem Jahr gesenkt, um die Arbeitssuche dieser Gruppe zu erleichtern. Ein weiterer Politikschwerpunkt betrifft die Verringerung der Anzahl von KrankengeldbezieherInnen.
Der Beitrag der öffentlichen Arbeitsmarktverwaltungen (ÖAV) zur Umsetzung von "Flexicurity"-Politik
Die Arbeitsmarktbehörden in den Mitgliedstaaten spielen eine bedeutende Rolle in der "Flexicurity"-Debatte. Die Staaten haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um sich auf eine gemeinsame Auffassung bezüglich der Mitwirkung der Arbeitsmarktverwaltungen an der Umsetzung der "Flexicurity"-Politik zu einigen. Es geht darum, die ÖAV zu modernisieren und proaktiver zu gestalten. Die ersten Ergebnisse aus den Gesprächen unter ÖAV in den Mitgliedstaaten wurden auf dem Seminar von Christian Charpy, Leiter der Arbeitsgruppe und Generaldirektor des französischen Arbeitsamts (ANPE), vorgestellt.
Schlusssitzung
In der Schlussrunde diskutierten VertreterInnen von EGB, UEAPME, BusinessEurope, CEEP, der Sozialplattform und UNI-Europa den Beitrag von sozialpartnerschaftlichen Organisationen und anderen Interessenvertretungen zur Einrichtung gemeinsamer "Flexicurity"-Grundsätze. Es herrschte Einigkeit hinsichtlich der Bedeutung des Sozialdialogs und der Notwendigkeit, einen angemessenen Ausgleich zwischen der Flexibilitäts- und der Sicherheitskomponente dieses Konzepts herzustellen. Zum Abschluss des Seminars fand eine Podiumsdebatte mit den Mitgliedern der "Flexicurity Mission" statt.
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